„Pussy Riot! Ein Punk-Gebet für Freiheit“
Ave Maria gegen scheinheilige Männer an scheinheiligem Ort
Kurz nach der skandalösen Verurteilung der Pussy Riot-Künstlerinnen gewährt ermöglicht die in der Edition Nautilus erschienene Flugschrift „“Pussy Riot! Ein Punk-Gebet für Freiheit“ deutschsprachigen LeserInnen Einsicht in die tiefen Beweggründe und unerhört mutigen wie präzisen Analysen von Mascha, Katja und Nadja. Ergänzt werden sie durch die Schlussplädoyers ihrer AnwältInnen, Solidaritätsadressen (Yoko Ono) sowie ein etwas eilig geschriebenesVorwort der englischen Feministin Laurie Penny. „Die Texte bieten ein bedrückendes Bild der ‚“russischen Demokratie’“, vom Filz zwischen Staat und Kirche, von der Realität im Gerichtsverfahren und im Gefängnisalltag – sie zeigen aber auch, wie mutig und stark der Widerstand dieser Frauen ist.“(Klappentext)
„Wie auch immer das Urteil über Pussy Riot ausfällt, wir haben schon gewonnen“, schreibt Nadja kurz vor ihrer Verurteilung, „weil wir gelernt haben, wie man politisch wütend und lautstark ist“ (1). Und weil sie ganz offensichtlich verstanden haben, wo genau der aktuelle russische Staatsmoloch am empfindlichsten zu treffen ist. Weshalb sonst hätte der Drache sich so aufbäumen müssen, mit so unverhältnismäßigen wie sich vor aller Welt selbst desavouierenden Waffen?!
Das KünstlerInnen-Kollektiv führte das Protestgebet in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche auf, dem russischen Symbol theokratischer Machtdemonstration seit dem frühen 19. Jahrhundert schlechthin.
Nachdem Stalin die Kathedrale hatte sprengen lassen, dienten ihre Ruinen als Schwimmbad, bevor sieauch denen, die im Zuge der Perestroika wiederaufgebaut wurdean ihrem Wiederaufbau interessiert waren. Doch nicht nur die Mauern wurden originalgetreu wiedererrichtet, sondern auch die scheinheilige scheinheilig-mafiöse Kollaboration zwischen dem orthodoxen Patriarchen und dem zaristischen Staatsoberhaupt. Der Die Wahl der Kirche war also die bestmögliche. (2)
Doch gibt es da einen noch brisanteren Punkt, der sogar manche Kritiker der Allianz von Putinskritiker und Kyrill nachdenklich stimmte und den Putinisten als religiöse Camouflage für den zutiefst politischen Prozess willkommen schien: Ist ein solches „Punkgebet“ nicht Gotteslästerung oder zumindest ein Zeichen der Missachtung der Gefühle orthodoxer Gläubiger? (3)
Es waren Frauen, die sich in den ausschließlich Männern reservierten Raum vor den Altar gewagt hatten. In der orthodoxen Kirche haben die Frauen bestenfalls einen Platz als verhüllte Dienerinnen der Kirche, es ist die frauenfeindlichste christliche Tradition. Auch heute noch, im 21. Jahrhundert. Und dort haben diese jungen russischen Frauen es gewagt, Maria, die christliche Urmutter, als Feministin auf ihre Seite zurückzuholen. „Maria, die heilige Muttergottes, ist bei uns im Protest!“ Sie folgen dem altbekannten Brauch, Maria in der Not und gegen das Böse zur Hilfe zu rufen. Maria und die drei Marien an der Seite des radikalen Anarchisten Jesus sind zu Lebzeiten schon, umso mehr von Beginn des organisierten sogenannten Christentums an, in den von Männern geschriebenen Evangelien und Apostelbriefen mundtot gemacht und später mit distanzierenden „Heiligungen“ und Doktrinen wie der „unbefleckten“ Empfängnis sterilisiert und diskriminiert worden.
Wenn nun die Frauen von Pussy Riot an scheinheiligem Männerort ein Gebet in radikaler Punkmanier singen, dann meinen sie das als gläubige Christinnen in der Perspektive der russischen Religionsphilosophen bitterernst. (43) Die persiflierende Tonalität und Gestik, mit welcher sie dies tun, ist nicht gegen die Grundwerte des christlichen Glaubens gerichtet, sondern gegen das, was die Patriarchen der Christenheit daraus gemacht haben – entleerte Rituale, welche die ursprünglich subversiven Dynamiken der Liebe und des Friedens in Unterdrückungsmechanismen pervertieren und religiöse Gefühle im Sinne der Macht instrumentalisieren. (5)
„Ein leidenschaftliches, aufrichtiges Gebet kann niemals eine Verhöhnung sein“, schreiben Pussy Riot an den Patriarchen Kyrill selbst (64). „ Wir beten dafür, dass Unsere Liebe Frau unserem Volk den Mut und die Kraft verleihen möge, König Herodes und seine Knechte aus dem Tempel zu jagen“. (75)
Die Frauen von Pussy Riot haben die ganze Scheinheiligkeit patriarchalisch-christlicher Macht- und Entmündigungsstrukturen radikal entblößt — und das hat getroffen: „Macht alle Türen auf, streift eure Epauletten ab. Kommt, kostet die Freiheit mit uns.“ (86)
Während ich dies schreibe, habe ich eisigen Stacheldraht in endlos weißer Kälte vor Augen. Frage mich, wie es den beiden Frauen in ihren sibirischen „Arbeitslagern“ gehen mag, ihnen und den zahllos-namenlosen Mitgefangenen. Mascha sitzt inzwischen in angeblich selbst gewählter Einzelhaft in Mordwinien, Nadja in Perm – Hunderte von Kilometern entfernt voneinander sowie von ihren Angehörigen, darunter zwei kleine Töchter. Schon während der sechsmonatigen Untersuchungshaft wurde ihnen Schlaf und Nahrung vorenthalten, ihre Käfighaltung vor den Augen der Weltöffentlichkeit in unverhohlener Menschenverachtung vollzogen. Die jetzige Anwältin Irina Chrunova hat Beschwerde bei der Menschenrechtskommission in Straßburg niedergelegt. (9)
Ja, Pussy Riot hat gewonnen, auch wenn oder gerade weil sie den Prozess verloren haben. Doch nur dann, wenn die Weltöffentlichkeit sie jetzt nicht vergisst. Genau deshalb ist die unmittelbare Einsehbarkeit dieser erschütternden Texte so eminent wichtig. Gerade so roh und unaufbereitet, wie sie schnappschussgleich dastehen.
„… alles, was Sie mir nehmen könne, ist die ‚sogenannte‘ Freiheit. Es ist die einzige in Russland existierende Form. Doch meine innere Freiheit kann mir niemand nehmen. Sie lebt im Wort und wird weiterleben dank der glasnost [Offenheit], wenn das hier von Tausenden Menschen gelesen und gehört wird“ (107) sagt Mascha am Ende ihrer Schlusserklärung. „Maria, die heilige Muttergottes, ist bei uns im Protest!“)
Jorinde Reznikoff (Copyright)
Anmerkungen:
1) Pussy Riot! Ein Punk-Gebet für Freiheit. Mit einem Vorwort von Laurie Penny. Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Häusler, Edition Nautilus, November 2012. S.29.
2) Die Erläuterung dieses spezifisch russischen Kontextes wäre zum Verständnis hilfreich gewesen. Ein kleiner Kritikpunkt am Rande dieser tief beeindruckenden Textedition, auch wenn das nicht die Aufgabe einer „Flugschrift“ ist.
(3) Selbst in evangelischen (!) Kreisen wird die Frage kontrovers diskutiert. Siehe dazu kürzlich Werner Schulz, Pussy Riot hat den Luther-Preis verdient. In: Die Welt vom 8. 12. 2012
(4)3) Pussy Riot, S. 27/28.
(5) 4) Hier wäre unbedingt auf die spezifisch russische Tradition der „Gottesnarren“ zu verweisen. Dank an Henrike Schmidt von (p)ostkarte(ll) ( Institut für angewandte Kulturforschung)!
(6)Ebd. S. 31.
(7)5) Ebd. S. 34.
(8)6) Ebd. S. 121. GILT!!!!
(9) Die drei Frauen haben nach dem Urteil harte Kritik an ihren AnwältInnen geäußert – insbesondere die der Selbstprofilierung und Selbstbereicherung.
(10)7) Ebd. S. 130.
Copyright Jorinde Reznikoff