Neugierig, was uns Raffael – das Modell künstlerisch-humanistischer Perfektion und zu Tode gerittener Reproduktion schlechthin – heute noch zu sagen habe, sprach ich ihn Wien vor. Der Kurator Achim Gnann stellte sich meinen Fragen.
„Raffael zählt neben Leonardo da Vinci und Michelangelo zu den bedeutendsten Meistern der Kunstgeschichte. Ob als Maler und Architekt in Florenz und Rom oder im Auftrag von Päpsten und Fürsten – Raffael ist ein wahres Universalgenie der Hochrenaissance. Die Albertina zeigt die erste monographische Schau, die Raffaels Werk in Österreich präsentiert. Mit rund 130 Zeichnungen und 18 Gemälden versammelt die Ausstellung sämtliche bedeutenden Projekte des Künstlers: Von der frühen umbrischen Periode (bis 1504) über die Jahre des Florenz-Aufenthaltes (1504/1505-1508) bis hin zur römischen Zeit (1508/1509-1520) sind beeindruckende Werke aus allen Schaffensphasen zu sehen.
Zahlreiche Werke aus der eigenen Sammlung sowie aus namhaften Museen veranschaulichen die Arbeit des Meisters der Hochrenaissance. Raffaels Denk- und Arbeitsprozesse vom Entwurf bis hin zur endgültigen Komposition illustrieren sowohl meisterhafte Zeichnungen als auch die Gemälde, welche zugleich einen Überblick über das malerische Schaffen des Künstlers geben. (Eine Ausstellung der Albertina in Kooperation mit dem Ashmolean Museum Oxford.)“ So heißt es im Ausstellungstext der Albertina.
Das Gewicht dieser Meister der Hochrenaissance für die moderne Kunst- als Spiegel der Menschheitsgeschichte hat zweifelsohne damit zu tun, dass sie – auf dem Gipfel der endgültig in die eigene Hand genommenen Vertreibung der Menschheit aus dem Paradies des universellen Eingebettetseins – ihr die Schöpfung selbst anvertraut haben. Leonardo in der gelassenen Eingebung seiner lächelnden Bilder, Michelangelo als Vorbild leidend-selbstquälerischen Künstlertums – und Raffael, „der Göttliche“, in einer denkwürdigen Gratwanderung zwischen kühler Perfektion, die als kitschige Kulisse in bürgerlicher Behaglichkeit ihr Unwesen treibt, und dem ungemütlichen Appell an den Menschen, sich seiner göttlichen Natur zu erinnern. Raffael auf die Schliche zu kommen, ist nicht leicht, doch wenn, dann bieten sich dafür die Zeichnungen an; wenn sie ( wie in Raffaels Fall) nicht als eigenständiges Ausdrucksmittel gemeint sind, zeigen sie den Weg von ersten Eindrücken, frischen intuitiven Gesten bis hin zum fertigen Bild .
Gerade Raffael hat diesen Weg äußerst sorgfältig geplant, um ja nichts dem Zufall zu überlassen. Mit dieser genauen Planung, in die er auch die Hände zahlreiche Mitarbeiter integrierte, sperrt er sich gegen das Bild des genialen Künstlers, für das wir die Kunst so lieben, weil sie uns so als Projektionsfläche für unsere eigene Qual und Sehnsucht nach totaler Hingebung zugleich dienen kann. Und doch ist das Endprodukt bei allem Schein sperriger Perfektion ein unscheinbar offenes, das zu neuen Einblicken in Sachen Raffael und Perfektion einlädt. Wer raffaeleske Vorurteile befragen möchte, konnte/kann das (noch) in Wien – und über den sehr ausführlichen Katalog und die Onlinedatenbank der Albertina weiterhin tun.