Viele rote Teppiche werden auf der Berlinale ausgerollt, nicht nur der eine, der im Blitzlichtgewitter flüchtiger Hoffnung erblasst. Denn es gibt viele Foren, in denen vieles zu sehen ist und mit vielen ausgetauscht werden kann. In einem von ihnen werden dieses Jahr auch rote Fahnen hervorgeholt, es sind die Berlinale Shorts, die seit 11 Jahren von Maike Mia Höhne geleitet werden. Sie nahm sich Zeit für ein Gespräch über den Sinn von Festivals, Kurzfilmen – und das Potenzial der „#me too“-Debatte.
„Solange wir nicht die Bilder ändern, wird sich nichts ändern. Ich will mit meinem Programm in vielerlei Hinsicht ein Reframing der gesellschaftlichen Verhältnisse ermöglichen – auf Augenhöhe und ohne Abhängigkeitsverhältnisse.“
Hier – in vier Passagen (mit inhaltlichen Stichworten zur Orientierung):
Das Interview
Bei einem Festival geht es in erster Linie darum, ein Fest auszurichten, in diesem Fall für ein internationales Publikum. Es geht um Freude, Begegnung und Austausch, sowie die Möglichkeit, berufliche Kontakte zu knüpfen – und Freundschaften fürs Leben.
Das Kurzfilm-Genre ist einerseits ein Forum zum Ausprobieren und Vorbereiten abendfüllender Kinofilm, andererseits ein eigenes Genre mit Tendenz zu performativen und experimentellen Darstellungsformen. Zu den Auswahlkriterien gehörten einerseits der klare Wunsch, auf die große Leinwand zu wollen, also das Kinoerlebnis zu suchen, zum anderen der Umstand, dass es in sich schlüssige und überzeugende eigenständige Arbeiten seien. Ob dann ein Kinofilm folge oder nicht, spiele keine Rolle. Dahinter stehe auch die Frage des Überlebens, denn vom Kurzfilm zu leben, verlange in der Regel große Enthaltsamkeit. Wenn ein Kurzfilm nur als Visitenkarte gemacht sei, spüre man das – und das genüge nicht.
Zur diesjährigen Thematik: Ein durchziehender Strang in der Flut, die dieses Jahr dem Berlinale ShortsTeam auf Büros und Bildschirme schwappte, ist die Selbstermächtigung /bestimmung angesichts einer stark empfundenen Ohnmacht. Starke große Figuren stehen im Fokus. Man kommt gestärkt und angeregt aus dem Kino. Interessanterweise dominiert weltweit das alte 4:3-Format, was den Arbeiten eine starke Konzentration verleiht, sie – fast lyrisch – verdichtet. Wie eine Art Haiku. Man kommt mit dieser Form auf den Punkt.
Informationen zum Programm, vor allem dem Sonderprogramm „1968 – Red Flags for Everyone“. Schon immer war Maike und ihrem Team der Bezug zur Filmgeschichte wichtig. In diesem Jahr bot sich ein Verweis auf Kurzfilme aus dem Umfeld von 1968 an, wobei die im Block gezeigten Filme bewusst auf das 68er-Klischee Demo- und Steinwurfklischee verzichten und ganz andere, zum Teil sehr persönliche Ansätze zeigen. Besonders brisant sind die Ansätze von Ula Stöckl, die sich auch mit 80 Jahren noch auf sehr radikal–fruchtbare Weise in die #me too-Debatte einmischt.
Und: Es gibt den Plan, Kurzfilme für die Bildungsarbeit online zugänglich zu machen. Sowie praktische Tipps rundum die Berlinale.
Zur «#me too» – Debatte
„Solange wir nicht die Bilder ändern, wird sich nichts ändern. Ich will mit meinem Programm in vielerlei Hinsicht ein Reframing der gesellschaftlichen Verhältnisse ermöglichen – auf Augenhöhe und ohne Abhängigkeitsverhältnisse.“ Das habe natürlich mit Angst, weil Unsicherheit, zu tun, denn die Gesellschaft bewege sich immer mehr auf Unsicherheit zu. es seien strukturelle, keine persönlichen Probleme, die mit der Debatte zutage träten, und die müssten geklärt werden, und sie, Maike, sei dankbar, dass das jetzt auf den Weg gebracht sei. Wir müssen in den Dialog treten und „verstehen, dass da etwas Systematisches, etwas Größeres ist – was uns schon seit Jahrhunderten begleitet.“
Es geht also nicht darum, einzelne als Sündenböcke an den Pranger zu stellen und von nun an ewiger Verdammnis anheimfallen zu lassen. Auch wird niemandem damit geholfen, wenn ihre Werke aus der Öffentlichkeit verschwinden. Vielmehr sollten die enthüllten Übergriffe und Missbrauchssituationen zur Aufklärung genutzt werden, damit alle, Täter und Opfer, erkennen, dass es so nicht mehr weitergehen kann und darf. Mit Verbannung und Verurteilung wird das Problem nicht gelöst, sondern nur auf andere Weise verdrängt. Es geht darum, den Mut zu haben, sich gemeinsam das ganze Gefüge dahinter klarzumachen und daraus zu lernen.