Ein Gespräch mit Dr. Dorothee Hansen, Kuratorin der Bremer Ausstellung „Emile Bernard – Am Puls der Moderne“
Das öffentliche Bild vom Beginn der modernen Kunst wird beherrscht von einigen wenigen Namen und markanten Werken, die in unseren Augen und Köpfen hängen geblieben sind – als dankbare Wegweiser mit Wiedererkennungswert. Neben, vor und hinter diesen anerkannten „Größen“ gibt es jedoch zahlreiche andere Künstler, die ebenso sensibel „am Puls der Moderne“ gearbeitet haben, jedoch in den Hintergrund geraten sind. Einer von ihnen ist der französische Maler Emile Bernard. In einem Gespräch mit der Kuratorin der umfangreichen Bremer Retrospektive, Dr. Dorothee Hansen, ging ich auf Spurensuche dieses Künstlers, der Avantgardismus und Widerständigkeit so weit getrieben hat, dass er zu Renaissanceidealen zurückgekehrt ist.
Ergänzende Aspekte brachte die Begleitausstellung „Pariser Propheten der Moderne – Grafik der Nabis “ im Bremer Kupferstichkabinett.
Dr. Dorothee Hansen live (30.4.2015):
Emile Bernard ist ein Künstler, der eine wichtige Rolle gespielt hat, aber in Vergessenheit geraten ist. Es sind Bilder, die an bekannte Kunstwerke (van Gogh, Gauguin, Cézanne) erinnern, aber so noch nie gesehen worden sind. „Bernard ist oft der Anreger, der etwas in Gang setzt, andere greifen das auf und führen es dann zu einer besonderen Spezialität und werden damit berühmt, während Bernard schon wieder weiter ist und etwas Neues macht. Marketingstrategisch ist das bestimmt nicht klug gewesen. Hätte er an irgendeiner Stelle gesagt, das mache ich jetzt weiter, hätte er seinen Wiedererkennungswert natürlich stärker gesteigert und das hätte gewiss etwas für seine Rezeption bedeutet. Das hat er nicht gemacht, sondern er hat sich häufig neu erfunden und war mutig genug, das auch durchzuziehen gegenüber dem Kunstmarkt. Das finde ich sehr interessant an diesem Künstler.“ Die Ausstellung stellt damit die Frage nach dem Funktionieren der Kunstgeschichte. Was bleibt hängen? Die Kunsthistoriker und – kritiker sind konsequenten Künstlern gegenüber aufgeschlossener als diesen brüchigen Biographien.
Mit diesem unaufhörlichen „Voranschreiten“ hat Bernard „Avantgarde“ konsequent durchgezogen und gewissermaßen radikalisiert. „Nach der Jahrhundertwende gehörte die Avantgarde gehört schon zum guten Ton. Aber in diesem Moment ist Bernard damit schon durch und wendet sich ab von der Avantgarde. Er wendet sich immer gegen den Zeitgeist. Das ist eine sehr eigenständige Haltung. (…) Peter Bürger („Theorie der Avantgarde“) fand gerade das Spätwerk Bernards so interessant, weil es in eine Gegenbewegung zur Avantgarde mündet.“
Bernard als Freund, insbesondere von Van Gogh und Gauguin.
Bernard als Zeitgenosse: Von sozial interessierten Zeichnungen bis hin zu reaktionärer Renaissanceromantik? Mit seinen Daten 1868 – 1941 hat er drei große Kriege miterlebt. „Viele avantgardistische Künstler suchen in der Zwischenkriegszeit wieder nach der festen Form und Sinn. Eine breitere konservative Bewegung, eine Wendung zum Katholischen und Politisch-Konservativem ist vor allem in Frankreich verbreitet. Zeitgleich zur Avantgarde gibt es eine klassisch-konservative Kunst. Die haben wir nur weitgehend vergessen. Die Anerkennung kam später.“
Dr. Dorothee Hansen: „Ich würde mir wünschen, dass das extrem innovative Potential von Bernard anerkannt wird, sowie die sehr eigene Qualität einzelner späterer Werke. Und der streitbare Geist, der immer bereit war, für sein Ideal zu kämpfen.“