Es wäre für sie sehr beeindruckend gewesen, erzählt Shumona Sinha, die Adaptation ihres zweiten Romans auf der Bühne zu sehen. Sogar richtiges Lampenfieber habe sie gehabt – und das, obgleich sie längst nicht mehr das Gefühl hätte, dieses Stück gehöre ihr. Sie habe es ja mit der Akzeptanz einer Bühnenfassung abgegeben. Mehrere Anfragen für eine solche seien von TheatermacherInnen bei ihrem französischen Verlag eingegangen, die des Thalia habe sie am meisten überzeugt.
Auf Grund der intensiven zweisprachigen lauten Lektüre mit ihrer Übersetzerin Lena Müller habe sie die entsprechenden deutschen Satzpassagen in der szenischen Darstellung wiedererkennen und so dem Verlauf des Abends grosso modo folgen können. Besonders gefallen habe ihr die Idee, die Figuren als eine in vielen und viele in einer darzustellen, eine Art multiple Mann-Frau-Persönlichkeit – ein Verwirren und Verwischen der Identität.
Doch zurück zum Roman selbst, zu den „Armen“, die da in Baudelaire’scher Inspiration „erschlagen“ bzw. zu ihrer Würde zurückgerüttelt werden sollen: Heute wage kaum jemand aus der linken Szene (jedenfalls Frankreichs), Zustände zu verurteilen, die verurteilt werden müssten, geschweige denn zu sehen, dass es notwendig sei, bestimmte Bevölkerungsschichten aus ihrer Misere zu holen und sie zu etwas „Nährendem“ zu führen. Es gebe einfach eine „arme“ Kultur – arm im Sinne von armselig. Genauso wie es so etwas wie „schlechte“ Ernährung gebe, gebe es auch „schlechte“ Kultur – beispielsweise das Mainstream-Fernsehprogramm, von dem sich viele Leute geistig schlecht bzw. unter-„ernährten“: „de la malbouffe“… Privilegierte Menschen hätten die Pflicht, Verantwortung dafür zu übernehmen und etwas Lichteres und Gehaltvolleres anzubieten. Auch wenn das natürlich sehr gewagt sei und elitär klingen möge, so etwas öffentlich auszusprechen, das sei ihr klar. Doch es gebe da eine Verantwortung kulturell Privilegierter, die zumeist nicht wahrgenommen werde. Kultur könne und solle uns zu besseren Menschen machen.
Shumona bekennt, konkrete Hilfsaktionen für ImmigrantInnen aus ihrem Land in Frankreich seien, von Demos und solchen spontanen Aktionen, nicht ihre Form des Engagements. Dazu sei sie einfach physisch nicht in der Lage, das habe sie als Jugendliche bis zur Erschöpfung ausprobiert und einsehen müssen. Ihre ureigene Kraft liege eben im Schreiben – allein, scheinbar getrennt von den anderen: „Wenn ich alleine bin mit meinen Gedanken, getrennt von der Welt, bin ich der Welt am nächsten. Da kann ich mich der Menschheit ganz hingeben.“ Von der Peripherie ihrer Emotionen und Gedanken gehe sie fortwährend zum Zentrum in ihrem Inneren und zurück. Die Frucht dieses Weges sei das, was sie niederschreibe. Ihre Position, ihr Engagement, sei die/das einer Schreibenden. Dementsprechend „findet die wahre Begegnung mit einem Autoren in seiner Abwesenheit statt.“ Das bedeute aber keineswegs eine Ablehnung des Körpers.
Und die Aufnahme von „Erschlagt die Armen“ bei ihren Landsleuten selbst, denen, die dort und in ihren sonstigen Schriften vorkommen? Zunächst lebten die Menschen, die in ihren Romanen aufträten, ja in ihr, betont Shumona. Insofern sei sie mit ihnen und begegne ihnen in ihrem Schreiben. Doch im konkreten Leben seien die Möglichkeiten einer wahren Begegnung jenseits von ethnischen, sozialen und politischen Konditionierungen limitiert bis schwierig – genau so und schlimmer, wie bzw. als sie es in ihren Texten beschreibe. Tendenziell käme man mit Verachtung auf sie zu.
Zur Situation in Frankreich: Das unglückliche Nebeneinander der verschiedenen Ethnien in Frankreich und besonders Paris sei seit einigen Jahren extrem spürbar – nicht nur das der neu Dazugestoßenen, und nicht erst seit den Anschlägen. Sie selbst müsse sich bis heute verteidigen und rechtfertigen als „Ausländerin“ bzw. – eben nicht Dazugehörige. Hätte sie das vor Jahren gewusst, wäre sie nicht nach Paris gekommen. Sie verliere viel Energie in überflüssigen kleinen Konflikten.