Auf den Wegen des lichtdurchlässigen Alabaster ist die Guadalupe aus Mexiko bis in das Cecina-Tal südlich des etruskischen Volterra gelangt. »Hör gut hin, mein kleinster Sohn«, hatte sie, hell und strahlend wie die Sonne, zu Juan Diego in der Sierra von Tepeyac gesagt, »es gibt nichts, was dich zu erschrecken braucht. Nichts braucht dein Herz zu verwirren. Fürchte nicht diese Krankheit noch sonst ein Übel. Weißt du nicht, dass ich deine Mutter bin? Stehst du nicht unter meinem Schutz? Bin ich nicht deine Hilfe? Glücklicherweise bist du geborgen in meinem Schoß und in meinen Armen. Was brauchst Du noch mehr?« Ihr Sprechen war von einem paradiesischen Gesang wunderschöner Vögel angekündigt worden. Es bedurfte aber noch einiger Wunder, um Bischof Fray Juan de Zumárraga zum Bau jener Kirche zu bewegen, welche die Guadalupe als Versammlungs- und Begegnungsort errichtet haben wollte: kastilische Rosen mitten im Winter. Doch als Juan Diego sie aus seinem Mantel hervorholen wollte, u³m sie dem Bischof zu überreichen, war dort ein Bild der Muttergottes zu sehen. Dies Bild, das alsbald in der Welt seine Runde machte, ist das Herz der Villa Le Guadalupe, die Wolfgang Storch und Klaudia Ruschkowski zu einer Begegnungsstätte gemacht haben.
Was das mit Joseph Beuys zu tun hat? Nun, ich war in die Villa eingeladen und durfte eintauchen in das vieltönige Raunen all ihrer gegenwärtigen und vergangenen Bewohner inmitten der weiten Stille der toskanischen Landschaft mit ihren zärtlichen Herbstfarben. Herauskristallisiert haben sich drei Gespräche, von denen zwei bereits über den Äther gegangen und ebenfalls auf diesem Blog nachzuhören sind: »Rot sagte er« – Klaudia Ruschkowski im Gespräch sowie Vom Handwerk der Filmkunst: Ulrich Bergfelder, der Szenograf von Werner Herzog, erzählt. Hier ist nun das dritte, das ich mit Wolfgang Storch geführt habe. Wolfgang Storch – Dramaturg, Regisseur, Kurator und Autor – liegt von je her die offene, gestaltende, Intuition generierende Begegnung am Herzen. Soziale Plastik also, die für Joseph Beuys Antrieb zum Überleben und Weitermachen war: Kunst. Kraftvolle, die etwas spürbar macht, das noch offen ist. Kunst, die wartet, rumort und rebelliert. Kunst, die mehr denn je nottut.
Zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys erschien in der »kleinen bücherei« des Verlags Edition Nautilus ein Sammelband, den Wolfgang Storch noch zu Lebzeiten des Verlag-Mitbegründers Lutz Schulenburg zusammengestellt hatte und nun mit einem Vorwort versehen hat. Er trägt den Titel: »Joseph Beuys: Hiermit trete ich aus der Kunst aus. Vorträge, Aufzeichnungen, Gespräche«