Gesamtkunstwerk mit Esprit und Tendresse. Ein Gespräch mit Rein Wolfs, dem Intendanten der Bundeskunsthalle Bonn.
Die Bonner Ausstellung ist nicht als multimediale Show angelegt, etwa mit dem Einsatz von großformatigen Défilévideos, sondern ist als klassisch-strenge Ausstellung eine purist Darstellung der Modemethode Karl Lagerfelds oder genauer der Modemethode namens Karl Lagerfeld selbst. Im Zentrum stehen die Kleider. Diese erste Darstellung von Lagerfelds Modedesign in Deutschland sei „wie eine Straße gestaltet – in every day’s life“, erläutert Rein Wolfs, Intendant der Ausstellung wie der Bundeskunsthalle Bonn. Letzterer Betonarchitektur zwar artikuliert durchaus „Straße“, doch selbst das Lagerfeld’sche Prêt-à-porter lässt sich wohl eher selten auf der Straße blicken. Eigentlich schade, denn es steht dem Beton.
Karl Lagerfeld hat der Ausstellung nicht nur Namen und Konzept, sondern sie in die Hände derer gegeben, die seine Défilés nach seinen Ideen gestalten. An ihrer Spitze Amanda Harlech, welche die Ausstellung, gemeinsam mit Rein Wolfs kuratiert, die Roben aus 60 Jahren Kreation bei Chanel, Fendi, Chloé und Lagerfeld ausgewählt und durchchoreographiert hat. Die Musik liefert Michel Gaubert, die Bühnenbildelemente Stefan Lubrina.
Carmen Lucini hat die Klippe gemeistert, an der viele Modeausstellungen scheitern, das am Körper und in seiner Bewegung erst lebendig werdende Gewand nicht zu einem uneleganten Staubfänger erstarren zu lassen. Für jedes hat sie eine Figurine maßgeschneidert, welche dieses von innen heraus so ertastet und füllt, dass es zu tanzen beginnt. Die am Ende meist völlig unsichtbaren Körper, die Carmen entwirft, möchte man gerne nackt sehen, sie machen neugierig.
Die gesamte Inszenierung durchzieht das Element Papier in mannigfachen Varianten, es ist erstaunlich, was Papier in einer immer papierloseren Welt alles vermag, wenn es in den Fokus gerät: „Paperworld“, Zehntausende gelaserter Papierfetzen bekrönen und umschmeicheln die Haute Couture-Roben mit Licht und Leichtigkeit. Das Künstlertrio Barcelona Wanda zeichnet dafür verantwortlich. Und letztlich ist Papier einfach die Basis für Beginn und Ende der „Modemethode“: Mit der Zeichnung beginnt, mit dem Foto, Fotomagazin und Buch endet sie. Und Lagerfeld liebt und feiert das Papier.
Sinnlichen Genuss bereitet diese grandiose Inszenierung deliziöser Haute Couture-Gewänder in gekonnt dosierter Weise.
Wer jedoch mehr wissen möchte, etwa über den Herstellungsprozess solcher Köstlichkeiten, welche die Augen sehnsüchtig berühren mögen, oder aber über HPerson und Phänomen von Kar Lagerfeld, geht leer aus.
Die Ausstellung wolle den berühmtesten deutschen Designer ein erstes Mal einfach würdigen, sagt Rein Wolfs, so wie Lagerfeld sich selbst darstelle, also ohne „hinter“ die Methode und ihren Schöpfer sehen zu wollen. Eine spätere wissenschaftlich aufgearbeitete Präsentation sei allerdings denkbar. Dass zeitgleich bis zum 25. Mai die Ausstellung „Der Göttliche. Hommage an Michelangelo“ gezeigt wurde, sei ein Zufall, gleichwohl ein aufschlussreicher.
Mich macht die Selbstinszenierung, die Karl Lagerfeld so geschickt wie lust- und durchaus auch humorvoll betreibt, neugierig auf diesen Dandy des 21. Jahrhunderts, der seinen hohen Kragen nie aufzuknöpfen scheint, als wolle er seinem Schattenbild, welches dem 18. Jahrhundert entlehnt sein könnte oder an einen Harry Graf Kessler erinnert, auf keinen Fall in die Quere kommen wollen. Und doch hat dieser Dandy etwas, was klassischen Dandys eher schwer fällt – Humor. Wenn Karl Lagerfeld Karl-Karikatur-Merchandizer ohne und mit ganz viel Choupette selbst auf den Markt wirft, nimmt er vorweg, was ITs in einer durchkommerzialiserten Welt ohnehin nicht erspart bleibt, oder wenn er Chanel 2014 zum Supermarkt mit dem begehrlichen Logo auf allen Konservenbüchsen umfunktionert. Chanel all überall? Augenzwinkern oder Größenwahn, Traum- oder Horrorvision? Auf jeden Fall eine geschickt selbstironisierende Infragestellung in situationistischer Manier. Mademoiselle Choupette Lagerfeld mit eigenem Facebook-„Geschäfts“-Profil.
Denkwürdigerweise hat Karl eine sympathische Omnipräsenz, die nur zuweilen angekratzt wird, dann etwa, wenn es um die Minimodelkleidergrößen oder den Fellkonsum von Fendi geht. Eines besonders scheint so schleierhaft, dass es von gesunder Neugierde zeugt, den Schleier ein wenig lüften zu wollen: Wie schafft es ein Mensch, Jahrzehnte lang für mehrere große Modehäuser mehrere Kollektionen pro Jahr zu entwerfen und dabei die unterschiedlichen Profile der Häuser sowohl klar im Auge zu behalten als auch weiterzuentwickeln – ohne je eine Pause zu machen?
Währenddessen ich verzaubert um die Haute Couture-Gewänder tanzte, deren diffizil-hochdifferenzierte Handwerkskunst in Linienführung und Vision des Gesamtkunstwerks völlig aufgeht und verschwindet und die Handwerkskunst doch wieder zum Leuchten bringt, beschlich mich folgender Gedanke: Hinter der edlen Kühle dieser perfekten Inszenierung scheint sich unendlich köstliche Zärtlichkeit in liebevoll bis in die letzte Paillette ausbalancierter Kostbarkeit zu verbergen. Ist dieser Aspekt vielleicht ein Hinweis auf den „Karl“, von dem seine MitarbeiterInnen immer so sprechen, als wäre er ein Vertrauter?
Rein Wolfs im Gespräch (20.5.2015)
Modemethode Karl Lagerfeld
Ist Mode Kunst?
Karl Lagerfeld als Kunstfirgur 1
Karl Lagerfeld als Kunstfigur 2
Die Konzeption der Ausstellung
Lieblingsstück: Das päpstliche Kleid für die schwangere Braut